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Unspektakulär aber besser

Seit meinem Schlaganfall sind mehr als zwei Wochen vergangen, und viel (oder?) ist seitdem passiert. Und ich merke gerade, dass ich meine „Fortschritte“ immer noch insgeheim an meinem gesunden Zustand vor dem Schlag messe und dann – vielleicht vorschnell – als „unspektakulär“ klassifiziere. Das Fachpersonal in der Klinik versichert mir jeden Tag, dass dem nicht so ist, sondern dass meine Fortschritte tatsächlich ganz ausgezeichnet sind.

Nach dem Schlaganfall: Was geht, was geht nicht?

Inzwischen kippe ich nicht mehr um, wenn ich sitze (und aufpasse). Ich kann stehen, laufen (in Begleitung oder mit – nunja – Rollator), mich im Zimmer bewegen, Sachen aus dem Schrank holen usw., allein ins Bad gehen, mich waschen usw. und komme da ganz gut klar, suche aber immer wieder mit den Händen Halt, weil ich mir da oft selbst noch nicht traue, denn mein Gleichgewichtssinn verlässt mich leider sporadisch.

Im Klinikbett - 14 Tage nach dem Schlaganfall
Langsam wächst auch Optimismus

Berührungen an meiner nach wie vor überwiegend gefühlsabwesenden linken Seite kann ich sehr unterschiedlich deutlich spüren. Aber ich spüre immer noch nicht die „Qualität“ dieser Berührung. Damit meine ich etwa: Kneift mich jemand in den Arm? Werde ich gestreichelt – oder mit heißem Wasser tracktiert? (Macht natürlich hier niemand ;-)) Insgesamt eine für mich sehr irritierende Erfahrung, die sich irgendwo zwichen „falsch“ und „fremd“ anfühlt.

Fehlende Tiefensensibilität und Phantomschmerzen

Die Therpeuten meinen: mir fehle noch die Tiefensensibilität. Diese fehlt mir vor allem und am Hinderlichsten im linken Bein und Fuß. Wie meine untere linke Hälfte tut, steht, sich verhält, muss ich immer mit den Augen kontrollieren. Ich bekomme kein spürbares Feedback, ob mein Fuß auch in „Geh-Richtung“ steht, wenn ich z.B. geradeaus laufen oder auch nur aufstehen möchte. Manchmal rutscht das linke Bein beim Sitzen auch kommentarlos einfach links weg. Inzwischen bekomme ich das mit. Aber das waren dann genau die Situationen, die mich in der Anfangsphase zuverlässig auf den Boden beförderten.

Nach dem Schlaganfall befreit von Kanülen (buntes Einstichhämaton)
Befreit von Kanülen – buntes Einstichhämaton nach Entfernen des Infusionszugang

Sehr seltsam empfinde ich es, dass bestimmte Reize so etwas wie Phantomschmerzen auslösen. Fasse ich zB. mit der Hand an eine sehr heiße Heizung, kann das momentan einen seltsam stechenden Schmerz sonstwo im Körper links auslösen. Das passiert etwa auch, wenn ich aus Versehen nachts mit meinem Fuß unglücklich an das Fußende des Bettes (zu kurz) rumple. Wobei „Schmerz“ vielleicht auch das falsche Worte ist: Ich habe aber deutliche Mißempfindungen, die einfach komplett irritierend sind.

Die Hände fühlen besser

Besser geworden ist das Fühlen links in den Fingern und in der Innenseite der Hände. Ich kann damit schon wieder verschiedene Materialien fühlen und unterscheiden. Auch wird hier die Empfindung von heiß oder kalt langsam besser, ist aber höchstens auf 10% meiner Möglichkeiten vor dem Schlaganfall.
Ich spüre außerdem (zB. jetzt beim Schreiben): mir fällt es schwer, mich länger zu konzentrieren. Konzentration und/oder Fokussierung ist im Moment vor allem dies: Anstrengung. Das habe ich so vorher noch nie so wahrgenommen.

Was kommt?

Lange werde ich hier im BKH Günzburg wohl nicht mehr sein, weil es mir tatsächlich schon „zu gut“ geht. (Mehr Fachliches dazu hier.) Die Klinik ist eigentlich für die Versorgung akuter schwerer Fälle da, zu denen ich schon nicht mehr gehöre. Mich erwartet also eine „Anschluss-Heilbehandlung“. Der Antrag darauf läuft bereits. Welche Klinik mich in diesen Corona-Zeiten aufnehmen kann und wird, ist noch nicht klar. Also heißt es erstmal: Warten. Das weitere Warten kann ich aber – wie es heute aussieht – wohl von daheim aus.
Darüber bin ich nicht wenig glücklich.
Ich bin immer noch am Anfang des Weges zurück in mein Leben. Wünscht mir Geduld!

 

 

7 Comments

  1. Marietta Richter 7. Januar 2021

    Lieber Teddy-
    Geduld mit sich selber haben bzw. lernen- das ist wohl die Königsdisziplin schlechthin. Das habe ich selber seit August 2020 leidvoll feststellen müssen. Optimismus und Humor sind da gute Weggefährten- beides hast du bekannterweise. Bewahr sie dir gut! Grüße von einer, die tagtäglich in der genannten Disziplin trainieren muss! Alles Gute!
    Marietta

    • Ulrich Berens 7. Januar 2021

      Liebe Marietta, Danke für Deine Nachricht und die guten Worte! Ich hoffe, Du siehst selbst schon wieder Licht am Ende des Tunnels! Du hast recht, Geduld und Humor sind der Treibstoff für die nächsten Wochen und Monate! Liebe Grüße!

  2. Sven 7. Januar 2021

    Hallo Ulrich,

    zunächst wünsche ich dir ein gesundes und glückliches neues Jahr. Ich freue mich, dass es dir schon wieder besser geht und du Kraft und Zeit hast, dich mitzuteilen.

    Ich wünsche dir von Herzen alles Gute
    Sven

    • Ulrich Berens 7. Januar 2021

      Lieber Sven, Danke für Deine Worte und die guten Wünsche! Das baut mich richtig auf!
      Dir ebenfalls ein gutes, zuversichtliches 2021 mit vielen schönen Momenten und Begegnungen!

      Uli

  3. Dorothee 11. Januar 2021

    Lieber Uli! Du kannst ja nicht schneller wieder normal werden als die Welt Corona besiegt. ? Ach, was ich eigentlich schreiben wollte: danke für das Schneebild und die Portraits von dir. Ich lese und bin ganz froh über das, was du schreibst.
    Wir sehen uns ?

  4. Benno 22. September 2021

    Lieber Uli, leider habe ich erst jetzt von dem abrupten Stopp deines Körper erfahren.
    Sei versichert: Wir denken an dich und hoffen, dass inzwlschen wieder vieles möglich geworden ist.
    Von Herzen Danke für all dein Engagement für unsere Stelle.
    Wie wunderbar, dass es dich gibt!!
    Benno

    • Ulrich Berens 23. September 2021

      Danke, das tut gut!
      Uli

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