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Heiter, harmonisch und unhistorisch

Gestern war wieder „Schwäbischwerder Kindertag“ in Donauwörth. Etwa 1000 Schülerinnen und Schüler hauptsächlich aus den Grundschulen der Stadt spielen in „historischen“ Gewändern auf der Wiese des Klosters Hl. Kreuz die Stadtgeschichte nach und ziehen dann in einem bunten Umzug, begleitet von etlichen Blaskappellen und Spielmannzügen, durch die Stadt. Laut städtischer Pressemitteilung ist der Schwäbischwerder Kindertag „eines der farbenprächtigsten Kinderfeste in Bayern“.

Anspruch des Kindertages ist ja „Geschichte zum Anfassen“ bzw. „spielerisch Geschichte erleben“ oder wie ex Felix Späth von der Stadt Donauwörth in einem Interview mit dem Lokalsender a-tv formuliert: „Jährlich 1000 Kinder kommen mit Stadtgeschichte in Berührung, sie erleben Stadtgeschichte“.

Geschichtliche Zusammenhänge deuten?

Ist ja eigentlich eine tolle Sache. Dennoch komme ich dann beim Historienspiel auf der Festwiese gelegentlich ins Grübeln. Etwa als die Zeit der Kreuzzüge ins Spiel kommt und ein Kind den Schlachtruf der Kreuzritter ins Mikro ruft „Gegen die Heiden – Gott will es!“ und die versammelten Kinder ebenso zurückrufen „Gott will es!“ Ich meine, schließlich befinden sich unter den jetzt mitspielenden Kindern in Donauwörth inzwischen ja etliche Nachfahren der Muslime und Andersglaubender, gegen die Papst Urban II. vor über 900 Jahren damals die Kreuzritter losschickte. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber so ohne gedeuteten zeitgeschichtlichen Zusammenhang empfinde ich derlei martialische Rufe heute irgendwie anachronistisch und, ja: peinlich. Jedenfalls würden einige erläuternde, in den damaligen Zeitzusammenhang kritisch-einbettende Worte dem Geschichtsbewusstsein aller auf dem „Schwäbischwerder Kindertag“ sicher gut tun.

Aber leider werden Fragen wie: Was bedeutet dieses oder jenes stadtgeschichtliches Ereignis für uns heute? und: Wie verhalten wir uns heute zu dieser oder jener geschichtlichen Tatsache? weder in der Durchführung des Festes noch in der schulischen (!) Vorbereitung gestellt, wenn ich den Schilderungen meiner beteiligten Tochter (3. Klasse Grundschule) glauben darf.

Endstation Biedermeier

Es mag zwar dann folgerichtig sein, aber mich berührt es dennoch besonders seltsam, dass die Stadtgeschichte Donauwörths sozusagen mit dem Biedermeier endet.
Jedenfalls endet in dieser Epoche das Historienspiel und damit anscheinend die den heutigen Kindern darstellbare Geschichte. Kaiserzeit, Weimarer Republik, NS-Zeit und Nachkriegszeit: all das ist gänzlich ausgeblendet. Waren diese Epochen nicht „heiter und harmonisch“ genug, um durch das Festspiel reflektiert zu werden? Sind diese Zeiten zu schwierig für heutige Kinder, schwieriger als die pittoresken Kreuzzüge? Was ist mit den Bombennächten vom 11. und 19. April 1945, die Donauwörth nach Würzburg die größten Zerstörungen bayerischer Städte im 2. Weltkrieg mit vielen Toten bescherten? Oder was ist mit den Vielen, die sich nach den großen Kriegen als Flüchtlinge dauerhaft in Donauwörth niederließen und ihren Anteil zum Wiederaufbau von Stadt und Wirtschaft beitrugen?

Auch all diese Vergangenheit könnte man thematisieren und darstellen lassen. Nur käme man dann nicht umhin, diese Vorfälle besser zu erklären und sich zu diesen Fakten, ihren historischen Hintergründen und Voraussetzungen zu positionieren.

Offensichtlich wird das „Schwäbischwerder Kinderfest“ als dazu nicht geeignet empfunden. Schade! Bei allem Schönen, Heiteren des Tages selber bleibt mir darum zumindest diese historische Unausgegorenheit (oder Feigheit?) als Wermutstropfen:  viel nett anzuschauender Historienpomp und historisierendes Pathos, aber eben keine echte Auseinandersetzung mit der eigenen Stadtgeschichte. Dem „Schwäbischwerder Kindertag“ würde diese Ehrlichkeit sicher nicht schaden, er würde gewinnen. Und wer weiß: vielleicht in den nächsten Jahren?

Jenseits dieser Fragen hatten die Kinder jedoch trotzdem ihren Spaß – und das ist ja auch gut so. :-)

Bilder vom Fest:

 

2 Comments

  1. Maria Sedelmeier 24. Juli 2012

    Sehr geehrter Herr Berens,

    mein Enkelkind Nils durfte den Bürgermeister spielen. Er hat sich riesig über seine Auswahl und den Auftritt gefreut.

    Könnten Sie uns die Bilder auf CD als Erinnerung zur Verfügung stellen?

    Für eine Rückmeldung besten Dank im Voraus.

    Mit freundlichen Grüßen
    Maria Sedelmeier
    Eckhofweg 3
    86609 Donauwörth

    • Ulrich Berens 24. Juli 2012

      Hallo Frau Sedelmeier!

      Das hat Ihr Enkelkind aber wirklich klasse gemacht! Gerne können Sie die Bilder bekommen. Möchten Sie alle vom Fest auf der CD haben oder nur bestimmte mit Ihrem Enkel?

      Gruß
      Ulrich Berens

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